Neurologie: Multiple Sklerose

Welche Erkrankungen machen eine neurologische Untersuchung dringend notwendig?

Multiple Sklerose

Definition

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine autoimmun bedingte Entzündung im Gehirn und Rückenmark und gekennzeichnet durch schubförmiges Auftreten von Sehstörungen, Taubheitsgefühlen, Lähmungen oder anderen neurologischen Symptomen.

Die Encephalitis disseminata oder Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten Erkrankungen des Zentralen Nervensystems des Menschen. Der Name leitet sich von dem mikroskopischen Gewebsbefund ab. Hier findet man viele verhärtete Gewebsnarben (multiple Sklerose). Die Herde können überall im Gehirn und Rückenmark lokalisiert sein.

Häufigkeit

In der BRD gibt es derzeit ungefähr 120 000 MS Kranke und jedes Jahr kommen 4 pro 100 000 Einwohner hinzu. In den westlichen Industrienationen ist die Häufigkeit ungleich höher als zum Beispiel in den Entwicklungsländern. Dies hat wahrscheinlich mit den Umweltfaktoren in den Industrienationen und nicht etwa den genetischen Unterschieden zu tun, denn Untersuchungen zeigten, dass Kleinkinder, die von Afrika nach Amerika auswanderten, das statistische Risiko von Amerikanern tragen.

Pathogenese

Man vermutet eine Virusinfektion in der Kindheit, nach der es zur Bildung von Abwehrzellen kommt. Dies ist eigentlich nicht ungewöhnlich und völlig harmlos. Man vermutet aber, dass die Abwehrzellen nun den Virus mit dem Nervengewebe verwechseln und dieses angreifen. Man spricht von einer autoimmunen Entzündung. Autoimmun bedeutet, dass Abwehrzellen des Menschen gegen eigenes Gewebe (hier: Nervengewebe) gerichtet sind und diese Zellen zerstören. Übrig bleibt dann nur noch eine Nervengewebsnarbe. Die Leitungen der Nervenzellen sind unterbrochen und der Patient erleidet neurologische Funktionsstörungen.

Beschwerden

Die Symptome des Patienten können vielfältig sein. Gerade dies ist typisch für MS. Welche Beschwerden ein MS-Patient entwickelt, hängt von dem Ort der Läsion im zentralen Nervensystem ab. Die wichtigsten Beschwerden sind Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Sehstörungen, Doppelbilder, Blasen- und Mastdarmstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Sprechstörungen und Gesichtsschmerzen. Oft verschlechtern sich die MS-Beschwerden in Wärme. Saunagänge werden vermieden. Typisch für MS ist darüber hinaus der chronisch-rezividierende Charakter (bei subförmigem Verlauf). Dies bedeutet, dass die Beschwerden nach einiger Zeit spontan (oder unter Therapie) abklingen und dann wiederkommen können. Man spricht dann von einem MS-Schub. Manchmal gehen die Beschwerden aber auch nicht zurück, sondern werden  stärker. Dann spricht man vom chronisch-progredienten Verlauf.

Diagnostik

Bei Verdacht auf MS muss eine Liquoruntersuchung (Hirnwasserwasseranalyse) erfolgen. Des Weiteren werden elektrische Untersuchungen zur Nervenleitgeschwindigkeit im Gehirn und im Rückenmark sowie eine Magnetresonanztomographie des Schädels durchführen. Bei einem Beschwerdeereignis wird man sich davor hüten von einer manifesten MS zu sprechen, denn alle Veränderungen im Hirnwasser oder in den anderen Zusatzuntersuchungen können auch andere Ursachen haben. Stets handelt es sich um den Verdacht auf MS. Nicht selten kommen aber Patienten mit typischer MS-Konstellation nie wieder zum Arzt, weil sie ein Leben lang beschwerdefrei bleiben.

Therapie

Cortison ist das beste Mittel um einen MS-Schub zu therapieren. Dies kann bei leichten Fällen sogar ambulant erfolgen. Aufpassen muss man bei der Cortisontherapie auf den Blutzuckerspiegel und eine Thromboseprophylaxe, vor allem wenn der Patient bettlägerig ist. Der Patient darf bei hochdosierter Cortisontherapie keine Begleitinfektion haben. Unter Cortison bilden sich die Beschwerden in der Regel gut zurück. Kommt es zu einem erneuten Schub, wird die Diagnose wahrscheinlicher und man sollte nach erneuter Cortisonstoßtherapie eine Intervallbehandlung mit anderen Medikamenten durchführen. Untersuchungen haben ergeben, dass Medikamente wie Interferon-Beta, Copolymer-1 und Azathioprin das Intervall bis zum nächsten Schub verlängern und die Stärke der Beschwerden lindern können. Interferon Beta und Copolymer-1 müssen wie Insulin bei Diabetikern in den Bauch gespritzt werden. Bei chronisch-progredientem Verlauf stehen nebenwirkunsreichere Medikamente wie  Cyclophosphamid zur Verfügung. Cyclophosphamid kann aber nicht ambulant gegeben werden. Hier ist eine Aufnahme in einem Krankenhaus notwendig. Mitoxantron ist ein Medikament, das sonst in der Krebsheilkunde als Chemotherapie angewendet wird, und bei schwerer fortschreitender MS gegeben wird, in der Hoffnung den Krankheitsverlauf abzubremsen.

Gerade in den letzten zwei Jahren sind aufgrund neuester Forschungsergebnisse erfreulicherweise viele weitere therapeutische Möglichkeiten hinzugekommen: Die neuen Medikamente – und darin unterscheiden sie sich nicht von den älteren – sie dämpfen bestimmte Zellen des Immunsystems, damit diese die Angriffe im ZNS unterlassen. Um zu verstehen, wie die Mittel zur Multiple Sklerose Therapie wirken, hilft ein Blick auf die beteiligten Immunzellen.

Zu den Aufgaben des Immunsystems zählt, eindringende Krankheitskeime wie Viren oder Bakterien abzuwehren. Dazu muss es fähig sein, zwischen „fremd“ und „körpereigen“ zu unterscheiden. Bei der MS gelingt ihm dies jedoch im Falle der Nervenzell-Hüllen nicht: Das Immunsystem hält sie für fremd und startet einen Großeinsatz der Immunzellen, der allerdings nicht im gesamten ZNS gleichzeitig erfolgt, sondern sich auf einzelne Regionen konzentriert und dort zu einer Entzündung führt. Beteiligt am Immunangriff sind unterschiedliche weiße Blutkörperchen: sogenannte Fresszellen (Makrophagen, sie können andere Zellen in direktem Kontakt vernichten), T-Lymphozyten und B-Lymphozyten. Letztere schädigen das ZNS nicht direkt, sondern produzieren Antikörper, die sich auf die Nervenzell-Hüllen setzen und diese damit für weitere Immunzellen „zum Abschuss freigeben“.

Die neu entwickelten Medikamente in der Multiplen Sklerose Therapie greifen an verschiedenen Stellen in den Entzündungsprozess ein (siehe Tabelle). Einige Präparate verhindern die Vermehrung bestimmter Immunzellen. Ein anderes hindert T- und B-Lymphozyten daran, die Lymphknoten zu verlassen und ins ZNS einzudringen. Ein weiteres stört die Kommunikation zwischen Immunzellen, so dass diese ihren Angriff nicht koordinieren können. Viele der neuen Medikamente der Multiple Sklerose Therapie können zudem als Tabletten eingenommen werden und müssen nicht gespritzt werden, was etliche Patienten als Erleichterung empfinden.

Zu Bespiel sind beispielsweise 2013 folgende Wirkstoffe neu zur Behandlung von MS zugelassen worden:   Tecfidera, auch bekannt als Dimethylfumarat oder BG-12, hat einen erweiterten Patentschutz für Europa erhalten (oral einzunehmendes Mittel). Der Wirkstoff Alemtuzumab (Intravenöse Gabe erforderlich) zur Therapie erwachsener Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose hat die Zulassungshürde bei der Europäischen Kommission genommen. Die EU-Kommission hat die Erlaubnis gegeben zur Markteinführung von Teriflunomid als einmal täglich oral einzunehmendes Arzneimittel für Menschen mit schubförmiger Multipler Sklerose (MS).